JAHRESBERICHT 2019
anlässlich der Mitgliederversammlung am 07.03.2020
A. Arbeit in Deutschland
1. Vorstandsarbeit
Anlässlich des Besuchs des Friedensnobelpreisträgers Dr. Denis Mukwege* im Juni 2019 kam Emmeli Bohnsack nach Tübingen, und es fand eine Besprechung der beiden Vorsitzenden zu allen laufenden Aktivitäten statt. Rainer Hariefeld sorgte als Kassenwart dafür, dass das Finanzamt Hildesheim die Gemeinnützigkeit von ProKivu e.V. verlängert hat.
Der Vorstand verständigte sich im Übrigen im Jahresverlauf telefonisch und per Mail über die anliegenden Fragen.
2. Projektberichte 2018/2019
Projekt des Jahres 2018:
„Projekt zur operativen Versorgung von Frauen mit Fistelbildungen. Unterstützung der Arbeit von Dr. Claude l‘Dringi am Rwakole-Hospital in Bunia.“
Projektpartner: Deutsches Institut für Ärztliche Mission, Tübingen (DIFÄM). Fördersumme: € 2000.
DIFÄM dankt allen Spendern und schreibt dazu auf seiner Homepage: „Dr. Claude hat bei Dr. Mukwege in Bukavu gelernt, Frauen mit Fisteln zu operieren. Nun führt er diese Operationen in seinem Krankenhaus durch. Die Klinik informiert darüber im Radio und schickt Mitarbeitende los, um die Bevölkerung aufzuklären, was bei der Sicherheitslage in der Region nicht einfach ist. Das Krankenhaus bezahlt den Transport der Patientinnen nach Bunia. Die Operation, der Klinikaufent-halt und ein Hygieneset werden mit Unterstützung des DIFÄM finanziert“.
Neue Projekte des Jahres 2019
Projekt Nzibira / BEST (Bureau d‘Etudes Scientifiques et Techniques, Bukavu)
AP: Stanislas Lubala
„Begleitung und Unterstützung der Gruppen kürzlich alphabetisierter Frauen von Nzibira durch die Einführung von Gemüseanbau rund um die artisanalen Minen – ein Beitrag zur Autonomie der neu alphabetisierten Frau.“ Fördersumme € 2481, überwiesen im Mai 2019. Projektbeginn: August 2019, Laufzeit 1 Jahr.
Es handelt sich um ein Folgeprojekt nach dem Muster des Projekts Luntukulu aus dem Jahr 2017. Einhundert Frauen in fünf verschiedenen Ansiedlungen um das Erzabbaugebiet Nzibira (Nzibira-Zentrum, Mahamba, Rhana/Ndjove, Chjaminyago, Maziba), die zuvor der Gefahr wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung ausgesetzt waren, erhalten durch das Projekt eine neue Chance. Sie haben bereits einen Alphabetisierungskurs von BEST absolviert. Nun sollen sie das Erlernte praktisch anwenden. Anhand eines bewährten Manuals wird die Gruppe in Techniken zur Kompostierung und zum Anbau von Gemüse geschult. Der Beitrag zur Ernährungssicherheit der eigenen Familie und der Dorfbevölkerung, Nährwert und Marktwert der Ernte werden thematisiert. Die Frauen bepflanzen ein Gemeinschaftsfeld und auch die eigenen Gärten. Stanislas Lubala aus Bukavu begleitete das Projekt für BEST und ist bei den entscheidenden Etappen vor Ort. Dazwischen werden die Frauen von lokalen Animateurinnen unterstützt.
Laut Zwischenbericht vom Dezember 2019 waren alle Teilorte außer Maziba an der Aussaat beteiligt, die zentral erfolgte. Die Sämlinge wurden dann an Privatpersonen und an lokale Organisationen verteilt. Nach einer guten Regenzeit konnten erfreuliche Ernten erzielt werden, vor allem beim Weißkohl (Gewicht bis 5 kg). Auch Zwiebeln und Amaranth wurden in großer Menge geerntet. Vom Amaranth, einem sehr eiweißreichen Getreide, wurde ein Großteil auf den Markt gebracht, aber auch für den privaten Gebrauch und für Festlichkeiten blieb genug übrig. Die Möhren reiften nach und nach und wurden meist von den Kindern roh verzehrt. Die Auberginen brauchten am längsten bis zur Reife. Dies alles stellt eine substantielle Verbesserung dar. Manche Familien begannen mit dem erwirtschafteten Geld eine Meerschweinchenzucht, von der sie dann das Schulgeld für die Kinder bestreiten konnten. Der Abschlussbericht mit Angaben zu den produzierten Mengen wird im Sommer d.J. erwartet. Was sich bereits sagen lässt: Die Versorgung mit Gemüse auf lokaler Ebene macht die Landwirtschaft für Frauen zu einer echten Alternative zu der Arbeit in den Minen, sie nützt der Gesundheit der Allgemeinheit und verbessert die soziale Stellung der Frauen und ihrer Familien. - Schwierigkeiten gab es auch: Der Supervisor kam wegen starker Regenfälle nicht durch; die Nachfrage nach den Sämlingen war höher als das Angebot;
Die Bewohner von Maziba nahmen nicht wie geplant an der Aussaat teil und erhielten später auch keine Sämlinge; Fotos gingen verloren.
Projekt Kashozi / OCEK (Organisation pour la Conservation Environnementale au Kivu)
AP: Dr. Innocent Balagizi
„Projekt zur Unterstützung der Landwirtschaft und Tierzucht zur Verbesserung der Ernährungs-sicherheit vulnerabler Haushalte in der Gegend von Kashozi, Kreis Kaziba, Bezirk Walungu“
Fördersumme: 3313 US$. Überweisung Oktober 2019, Beginn November 2019, Laufzeit 1 Jahr.
Es handelt sich um ein erstes Projekt im Hochland von Süd-Kivu, dessen Bevölkerung nach den Kriegen der letzten 20 Jahre unter Armut und Krankheiten leidet. Die Ernährung soll vielseitiger werden, neue Gemüsesorten sollen Eingang in den Markt finden. Die Fruchtbarkeit der Felder und Gärten soll durch Herstellung von organischem Dünger verbessert werden. Die Teilnehmenden sollen ermutigt werden, sich auf ein Rotationssystem mit Ziegen einzulassen, was die Solidarität und den sozialen Zusammenhalt stärken soll, mit dem Ziel, Hunger und Armut zu bekämpfen.
In der Projektplanung vorgesehen ist eine Zielgruppe von einhundert Personen, die in Seminaren zu folgenden Themen geschult werden sollen: Herstellung von Kompost; Ernährungssicherheit und die Produktion von Gemüse im familiären Anbau; Pflanzenmedizin in der Ziegenhaltung. 40 Ziegen sollen unter die Teilnehmer verteilt und die Jungen im Rotationsverfahren weitergegeben werden, bis alle ein Tier erhalten haben. Das Projekt stellt den Einkauf von Gemüsesamen und die Begleitung bei der Aussaat und dem weiteren Wachstum bis zur Ernte sicher.
Dem Zwischenbericht vom 28.02.2020 ist zu entnehmen, dass das Projekt mit Problemen zu kämpfen hat: Food for the Hungry International beansprucht neuerdings fruchtbare Anbauflächen in der Gegend für ihr eigenes Projekt und wirbt mit dem Slogan „Lebensmittel gegen Arbeit“ die armen Landfrauen ab, die so dem kollektiven Gedanken entfremdet werden; dabei wird FHI offensichtlich von dem lokalen mwami (König) unterstützt; die Bevölkerung steht dadurch für Seminare während der Woche nicht mehr zur Verfügung; die Periode vom November 2019 bis Februar 2020 war von sintflutartigen Regenfällen geprägt, die die landwirtschaftlichen Abläufe beeinträchtigt haben; außerdem breitet sich erstmals Malaria im Hochland aus.
Das Projekt wurde an die Herausforderungen angepasst. In der ev. Kirche von Kashozi wurde am 14.12.2019 ein Seminar für 80 Personen zum Thema „Ernährungssicherheit und Gemüseproduk-tion im familiären Anbau“ durchgeführt; es wurden zehn Sorten Gemüsesamen verteilt und alte Sorten wieder angepflanzt; OCEK hat ein Gelände für die Vermehrung der Samen zur Verfügung gestellt; 20 Personen erhielten je eine Ziege; am 27.02.2020 nahmen 15 Frauen und 2 Männer an einem Seminar über Anbautechniken, Bodenschutz und Erosionsschutz teil. Sie sind damit Bezugspersonen für die Ausbilder.
Erfreulicherweise haben sich drei junge Frauen mit höherem Schulabschluss und einer Ausbildung in Fragen der Ernährung bereit erklärt, arme Familien zu begleiten, um die Ernährungssicherheit voranzubringen; die familiären Gärten entwickeln sich und enthalten eine Reihe neuer Gemüse-sorten, darunter „Amaranth Inca“. In Kashozi wird Hibiscus angebaut und daraus „roter Saft“ (Tee) hergestellt; ein lokaler Ökonom hat ein Stück Land für den Anbau von Zwiebeln und Tomaten zur Verfügung gestellt, im Hinblick auf die Vermarktung. - Für diesen März sind die Verteilung von weiteren 20 Ziegen und ein Seminar zur Produktion von Dünger geplant. Die Teilnehmer werden von Fachleuten bei der Anwendung der gelernten Techniken begleitet. Die Evaluation des Projekts ist im Dezember d.J. vorgesehen. - Nach Einschätzung von I. Balagizi ist das Projekt trotz der Herausforderungen soweit erfolgreich und kann dazu beitragen, die landwirtschaftlichen Praktiken in Kashozi zu erneuern und die Ernährungslage zu verbessern, sowie den lokalen Handel mit frischem Gemüse zu beleben.
B. Aktuelle Situation im Kongo
An der politischen und wirtschaftlichen Situation im Kongo, speziell im Süd-Kivu, hat sich seit dem letzten Jahresbericht nichts Wesentliches verändert. Es finden weiterhin Überfälle von Rebellengruppen und Mai-Mai auf die Dörfer mit Vergewaltigungen und Tötungen der Dorfleute statt. Die komplexe Lage wird in der neuen Graphic Novel „Kivu“ von Simon und van Hamme anschaulich in Comicform dargestellt (Simon, van Hamme: Kivu. Splitter-Verlag, 2019).
Innocent Balagizi, Professor am Institut Supérieur Pédagogique (ISP), Bukavu/Kaziba hat im Jahr 2019 seine Doktorarbeit in Kinshasa verteidigt. Sein Thema: Eine didaktische Aufbereitung (ein „Lehrplan“) zur Pflanzenmedizin und ein Vorschlag für ein Bezugssystem für die Wissenschaften des Lebens und der Erde“. Im Rahmen seiner Arbeit hat er in städtischen und ländlichen Schulen über 1200 Schüler der Abschlussklassen und 29 Lehrer befragt.
Es ist schon erstaunlich: In einer Zeit politischer Wirren und wirtschaftlicher Ausbeutung, in Zeiten von Gewalt und Ebola entwickelt unser Partner, ein Biologe und Pädagoge, ein Konzept, wie man den heranwachsenden Jungen und Mädchen die biologische Vielfalt ihres Landes und die Ressourcen der Pflanzenwelt nahebringt. Und er erarbeitet nicht nur einen neuen Kurs, sondern er nimmt das Unterrichtssystem ins Visier, spricht von obsoleten Inhalten, die man hinter sich lassen müsse und eröffnet mit dem Entwurf „Wissenschaften des Lebens und der Erde“ neue Räume. In der Sekundarstufe soll z.B. „Botanik und Wirtschaft“ unterrichtet werden.
Im Juli 2019 hat der Int. Gerichtshof in Den Haag Bosco Ntaganda („der Terminator“), den Chef einer Rebellengruppe im Nordostkongo, wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Ihm wurden Massaker an Zivilisten, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei und die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten in den Jahren 2002/2003 zur Last gelegt. Seitdem sind hunderte weiterer Verbrechen im Kivu und den Nachbarprovinzen aktenkundig und im sog. Mapping Report der UN festgehalten. Dieser Report ist so verheerend, dass die UN ihn unter Verschluss gehalten haben. Menschenrechtler wie Dr. Mukwege fordern seit langem die Veröffentlichung und ein Einschreiten der westlichen Welt.
Im Juli 2018 ist im Nordostkongo Ebola ausgebrochen, bis Ende 2019 sind über 2000 Menschen an der Seuche gestorben. Wegen anhaltender Rebellenaktivitäten sind viele Menschen auf der Flucht, sodass eine Nachverfolgung der Neuerkrankten kaum möglich ist. Die WHO versucht, mit einem neuen Impfstoff die Epidemie unter Kontrolle zu bringen, hat jedoch im November 2019 selbst vier Mitarbeiter durch Rebellenüberfälle verloren. Ebolakranke und Helfer leben in Angst.
Auf Youtube ist der Film „Friedenskämpfer“* zu sehen, der die Situation von Dr. Mukwege und dem Panzi-Hospital beleuchtet und der auch Szenen aus dem Ebolagebiet zeigt, wo Dr. Gisela Schneider vom DIFÄM im vergangenen Jahr im Einsatz war.
C. Ausblick auf das Jahr 2020
Die ProKivu-Homepage hat eine neue Bezeichnung und ist jetzt unter www.prokivu.org zu finden. Die alte Webadresse ist nicht mehr gültig. An der Ausgestaltung wird unter Mitarbeit von Laurenz Ohlig weiterhin gearbeitet.
Tübingen, den 05.03.2020
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Dr. Elisabeth Fries
* Filmprojekt des SWR (Susanne Babila u.a.): Friedenskämpfer. 2019.