JAHRESBERICHT 2020
anlässlich der Online-Mitgliederversammlung am 17.04.2021
A. Arbeit in Deutschland
1. Vorstandsarbeit
Der Vorstand verständigte sich im Jahresverlauf telefonisch, per mail und mittels Zoom-Konferenzen über die anliegenden Fragen.
2. Projektberichte 2019/20
Projekte des Jahres 2019
Projekt Nzibira / BEST (Bureau d‘Etudes Scientifiques et Techniques, Bukavu)
AP: Stanislas Lubala
„Begleitung und Unterstützung der Gruppen kürzlich alphabetisierter Frauen von Nzibira durch die Einführung von Gemüseanbau rund um die artisanalen Minen – ein Beitrag zur Autonomie der neu alphabetisierten Frau.“ Fördersumme € 2481, überwiesen im Mai 2019. Projektbeginn: August 2019, Laufzeit 1 Jahr.
Zur MV 2020 hatte das Projekt einen ausführlichen Zwischenbericht für die Periode August 2019 bis Februar 2020 vorgelegt. Die Restlaufzeit des Projekts von März bis August 2020 war durch die Corona-Epidemie erheblich gestört. Corona führte auch im Süd-Kivu ab dem 18.03.2020 zum Lockdown und zur Schließung von Schulen. Besuche des Projektverantwortlichen Stanislas Lubala vor Ort waren nicht mehr möglich. Anstelle eines regulären Abschlussberichts wurde am 25.02.2021 ein „Bericht gemäß der aktuellen Lage“ vorgelegt.
Laut Bericht ging der Anbau von Gemüse und Amaranth weiter, solange noch Saatgut vorhanden war. Das Gemüse wurde teils auf dem lokalen Markt verkauft, teils für den Eigenbedarf verwendet. Die Einkünfte wurden für Dinge des täglichen Lebens verwendet, Kleidung und Haushaltsartikel. Manche Familien begannen mit der Haltung von Hühnern, Hasen oder Meerschweinchen. Die Suche nach Futter für die Tiere war Aufgabe der Kinder, die keine Schule hatten.
Konflikte gab es auch: Flüchtlinge, die vor Auseinandersetzungen in der Nachbarregion Shabunda nach Nzibira geflohen waren, konkurrierten mit der Bevölkerung um Nahrung und stahlen einen Teil der Auberginen. Nachdem die Grenzen zu den Nachbarländern wegen Corona geschlossen waren, stiegen die Preise für Waren des täglichen Bedarfs.
Festzuhalten bleibt: Die landwirtschaftliche Arbeit ist für die Projektteilnehmerinnen eine echte Alternative zu der Arbeit in den Minen, sie nützt der Gesundheit der Allgemeinheit und verbessert die soziale Stellung der Frauen und ihrer Familien.
Stanislas Lubala schlägt - typisch kongolesisch – vor, bei einem Folgeprojekt die Konfliktparteien zu versöhnen, indem man alle einbindet. Er wünscht eine Projektlaufzeit von 2 Jahren.
Voraussetzung vonseiten von ProKivu wäre, dass das Projekt besucht und begleitet werden kann.
Projekt Kashozi / OCEK (Organisation pour la Conservation Environnementale au Kivu)
AP: Dr. Innocent Balagizi
„Projekt zur Unterstützung der Landwirtschaft und Tierzucht zur Verbesserung der Ernährungs-sicherheit vulnerabler Haushalte in der Gegend von Kashozi, Kreis Kaziba, Bezirk Walungu“
Fördersumme: 3313 US$. Überweisung Oktober 2019, Beginn November 2019, Laufzeit 1 Jahr.
Lokaler Projektpartner ist die Frauengruppe „Bazire Rhugwasanye“ im Hochland von Süd-Kivu, wo die Bevölkerung nach über 20 Jahren Krieg unter Armut und Krankheiten leidet. Die Ernährung soll vielseitiger werden, neue Gemüsesorten sollen Eingang in den Speiseplan der Menschen und in den Markt finden. Die Fruchtbarkeit der Felder und Gärten soll durch Herstellung von organischem Dünger verbessert werden. Ein Rotationssystem mit Ziegen soll den sozialen Zusammenhalt stärken. Seminare zur Herstellung von Kompost, zur Ernährungssicherheit und zur Produktion von Gemüse im familiären Anbau sollen neue Techniken verankern helfen.
Dem aussagekräftigen Zwischenbericht vom März 2020 folgte jetzt der Abschlussbericht inklusive Finanzbericht vom 05.04.2021. Das Projekt hatte durchweg mit Problemen zu kämpfen: Food for the Hungry International (FHI) beanspruchte fruchtbare Anbauflächen in der Gegend für ein eigenes Projekt und wurde dabei von dem lokalen mwami (König) unterstützt; die Bevölkerung wurde von FHI mit einer Kampagne „food for work“ geworben, darunter auch Teilnehmerinnen des Projekts, die seitdem für Seminare nur an Wochenenden zur Verfügung standen. Sintflutartige Regenfälle beeinträchtigten die landwirtschaftlichen Abläufe im ersten Halbjahr. Im zweiten Halbjahr – ab März 2020 – brachte die Corona-Pandemie den Lockdown, die Schließung der Grenzen und Preissteigerungen. In der Not konsumierten einige arme Familien das Saatgut für das zweite Halbjahr. Truppen der kongolesischen Armee (FARDC) besetzten einen Teil des für den Anbau vorgesehenen Geländes. Unter den erschwerten Bedingungen waren Teilnehmerinnen, die eine Ziege erhalten hatten, nicht solidarisch bei der Weitergabe von Jungtieren an andere Mitglieder der Gruppe, sondern behielten die Tiere als eine Art Lebensversicherung für sich. Ende 2020 verließen zwei wichtige Mitarbeiter die Partnerorganisation OCEK und Bukavu, wodurch sich die Auswertung und Berichterstattung lange hinauszögerten. Innocent Balagizi berichtete darüber hinaus von beruflicher Mehrfachbelastung und eigenen Schicksalsschlägen.
Das Projekt wurde soweit wie möglich an die Herausforderungen angepasst. OCEK stellte selbst ein Gelände für die Vermehrung der Samen zur Verfügung. Die Teilnehmer an einem Seminar über Anbautechniken, Bodenschutz und Erosionsschutz dienten als Multiplikatoren, wenn das OCEK-Team coronabedingt nicht anreisen konnte, und einige junge Frauen vor Ort mit höherem Schulabschluss begleiteten und berieten arme Familien in Ernährungsfragen. In familiären Gärten wurden neue Gemüsesorten, Amaranth und Hibiscus angebaut und teilweise auch verkauft. Die Ziegenhaltung wurde fachmännisch begleitet.
Nach der abschließenden Beurteilung von I. Balagizi ist das Projekt trotz aller Rückschläge zumindest in Teilen erfolgreich verlaufen und trägt zur Ernährungsvielfalt in armen Familien und zur Belebung des lokalen Handels mit Gemüse bei.
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Projekt des Jahres 2020
Projekt Kashozi / OCEK (Organisation pour la Conservation Environnementale au Kivu)
AP: Dr. Innocent Balagizi
„Nothilfe zugunsten vulnerabler Haushalte im Groupement Kashozi unter der Pandemie COVID-19“
Fördersumme: 1548 US$. Überweisung Juli 2020, Beginn August 2020, Laufzeit 6 Monate bis Februar 2021
Das Projekt wurde von ProKivu e.V. angeregt, nachdem bekannt geworden war, dass Bewohner von Kashozi an Hunger litten und die zur Aussaat bestimmten Amaranthvorräte aufgegessen hatten; nachdem coronabedingt der Nahrungsmittelimport aus Ruanda eingestellt und der Handel innerhalb des Süd-Kivu zum Erliegen gekommen war; und nachdem die sozialen Kontakte durch Abstandhalten und die Vorschrift zum Tragen einer Maske erschwert worden waren.
Gefördert wurde – auf Antrag von OCEK - die Verteilung von Amaranth-Saatgut, die Versorgung mit Lebensmitteln wie Maismehl und Bohnen und die Herstellung von Alltagsmasken.
Ablauf: Die Hilfsgüter wurden vom 3.-31. August verteilt. Die Masken mussten u.a. auch an Schüler und Studenten verteilt werden, weil die bei Schulbeginn Anfang September oder zur Abschlussprüfung zum Tragen einer Maske verpflichtet waren. Die Verteilung der Nahrungsmittel und des Saatguts erfolgte an 90 Haushalte und an das Waisenhaus beim Krankenhaus von Kaziba.
Insgesamt 1800 Masken wurden verteilt, davon 1000 an die bäuerliche Bevölkerung, 600 an Schüler und 200 an Studenten der Pädagogischen Fachhochschule (ISP) Kaziba. - Eine Tonne = 40 Sack Maismehl wurden verteilt an vulnerable Haushalte in Kashozi (19 Sack), Mulambi (18 Sack) und das Waisenhaus (3 Sack). - 450 kg Bohnen bester Qualität wurden an das Waisenhaus (200 kg) und an die Bevölkerung von Mulambi (250 kg) verteilt, die sehr abgelegen wohnt und bereits Anzeichen von Kwashiorkor zeigte. - 10 kg Saatgut (Amaranth) wurde verteilt an 74 vulnerable Haushalte in Kashozi und Mulambi, an 12 bäuerliche Gruppen, an das Waisenhaus und an den Chef und einige wenige Verantwortliche in der Verwaltung von Kaziba.
Auswirkungen: Die Projektauswertung ergab, dass von den 90 Empfängern des Saatguts nur 20 mit dem Anbau und dem Verkauf von Amaranth weitergemacht hatten. Eine Assoziation der jungen Leute für Entwicklung (AJDV) in Kashozi sei aber durch das Projekt ermutigt worden, die Kultur von Amaranth und Chia als Antwort auf den Hunger voranzutreiben, dazu wolle sie mit OCEK zusammenarbeiten.
OCEK sieht eine Schwäche bei der Bevölkerung, die sehr reserviert sei und weder Zustimmung noch Ablehnung ausdrücke. Das könne Helfer entmutigen. Es gebe aber auch Probleme mit der Bodenqualität, der Boden sei sauer und lehmig, das Klima kalt. Die Leute müssten Nahrungsmittel kaufen, hätten aber keine Jobs mit regelmäßigem Einkommen.
OCEK schlägt für die Zukunft vor, die bäuerlichen Gruppen in Kashozi, Mulambi und Ciburhi besser zu strukturieren, es gebe da motivierte Leader. In Zusammenkünften solle die Selbstverantwortung für die gesundheitliche und wirtschaftliche Lage gestärkt werden.
Außerdem müsse OCEK selbst nach dem Verlust wichtiger Mitarbeiter organisatorisch wieder stabiler werden. Man wolle sich neu aufstellen und die Ziele mit Blick auf das Jahr 2025 neu definieren.
B. Aktuelle Situation im Kongo
Ein Bericht des Ökumenischen Netzwerks Zentralafrika (ÖNZ) vom Februar 2021 beschreibt anhand von mehreren Beispielszenarien die wachsende Unsicherheit in der Dem. Republik Kongo wie folgt: „Die Sicherheitslage in den östlichen Provinzen hat sich im Jahr 2020 verschlechtert. Neben der kongolesischen Armee (Anm.: die in sich gespalten ist) sind zahlreiche Milizen für die gewaltsamen Übergriffe und anhaltenden Konflikte verantwortlich. Dabei handelt es sich sowohl um lokale als auch aus den Nachbarländern stammende Milizen. Ein andauernder Machtkampf innerhalb der kongolesischen Regierung (Anm.: zwischen Präsident Tshishekedi und seinem Vorgänger Joseph Kabila) und überregionale Partikularinteressen treiben die Konfliktparteien an. Strukturelle Defizite sorgen dafür, dass den ständig neu aufflammenden Gewaltherden kaum Einhalt geboten wird… Die daraus resultierenden politischen Forderungen umfassen u.a. die Bekämpfung der Straflosigkeit, das Schaffen von Alternativen wie wirtschaftliche Perspektiven für junge Menschen, ein umfassendes und nachhaltiges Demokratisierungsprogramm und eine Reform des Sicherheitsapparates.“
6858 Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land wurden von Januar bis Oktober 2020 vom Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen dokumentiert – ein Anstieg von 35% im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019, insbesondere in den Provinzen Süd-Kivu, Nord-Kivu und Ituri. Wer kämpft da? Über 130 bewaffnete Gruppen, kongolesische, ruandische, ugandische, in unterschiedlichen Koalitionen, die sich auch wieder verändern können, die auch untereinander verfeindet sind. Worum geht es bei den Konflikten? Um Macht, Land und Rohstoffe. Wie werden sie ausgefochten? Mit gewaltsamen Übergriffen, einhergehend mit Massakern, Vernichtungen ganzer Dörfer und Vertreibung der Bevölkerung. Im Süd-Kivu war 2020 die Gegend 100-200 km südlich von Bukavu schwer betroffen. Neue Konflikte entstehen durch Fluchtbewegungen. Wegen fehlendem staatlichem Schutz bilden sich Bürgerwehren, die Vergeltungsaktionen durchführen.
Ruanda und Uganda verfolgen im Ostkongo ihre wirtschaftlichen und politischen Interessen. Ihre Strategie ist es, nichtstaatlich kontrollierte Zonen zu schaffen, um die Ausbeutung und den Transport der Rohstoffe außer Landes zu erleichtern.
Die UN-Blauhelme (MONUSCO) sind mit 18000 Truppen präsent und kosten jährlich eine Milliarde US$. Einen wirksamen Schutz für die Bevölkerung können auch sie nicht gewährleisten, was ihnen viel Kritik einträgt. Aber solange die kongolesische Armee diese Aufgabe nicht übernimmt, können sie auch nicht abgezogen werden. Bis zu den Wahlen im Jahr 2023 werden sie auf jeden Fall bleiben und im Ostkongo vermutlich auch darüber hinaus. Soviel zu den großen Zusammenhängen.
Wie erlebt Dr. Innocent Balagizi, Biologe, Forscher, Universitätsdozent, Leiter von OCEK und Berater der Stadt Bukavu, diese Zeit? In einem Begleitbrief zu den Projektberichten schreibt er: „Ich arbeite täglich von 7.15 bis 21 Uhr. Sei es, um eine NGO zu retten, um zu unterrichten, um eine Gruppe von jungen Leuten zu beraten oder um einen Kranken mit natürlicher Medizin zu behandeln. Kein gewissenhafter Mensch hat mehr Zeit genug für alles. Die Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, suchen mehr nach Möglichkeiten für sich selbst oder nach Zerstreuung. Da werden einfache Dinge wie Datensammeln und ein Arbeitspapier entwerfen schwierig. Sie trinken starke alkoholische Getränke (über 45%) mit schädlichen Zusätzen wie Koffein, Diazepam, Zucker oder Pfeffer. Am Ende hat man keine reflektierten jungen Leute mehr, sie sterben früh. Kurz, unser Leben ist ein Kalvarienberg des Leidens, und wir müssen es leben.“ Abschließend dankt er ProKivu und wünscht, dass wir alle gemeinsam wieder Freude am Leben finden möchten.
C. Ausblick auf das Jahr 2021
Der Ausblick auf dies Jahr ist also weder für die Partner im Kongo noch für uns hier in Deutschland ein leichter. Entscheidend ist wohl, dass wir im Austausch bleiben. Uns bietet sich in einer Situation eigener existentieller Betroffenheit die Chance, die Tapferkeit von Menschen zu würdigen, die in einer Fülle von Bedrohungen ohne Rettungsschirm und doppelten Boden leben müssen. Sie helfen uns, unsere Probleme in einer globalen Perspektive zu sehen. Wie eine angemessene Hilfe für die lokale Bevölkerung im Süd-Kivu aussehen kann, wenn der Zugang zu den Projektorten weiterhin erschwert bleibt, wird ProKivu herausfinden müssen. Der Vorstand wird dafür auch das Gespräch mit anderen Organisationen suchen, die im Kongo tätig sind.
Abschließend noch der Hinweis auf die aktuelle Website: www.prokivu.org
Tübingen, den 12.04.2021
Dr. Elisabeth Fries